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Im Portrait: Die Lehrgangsbegleiter*innen für das Vertiefungslevel II für medizinisch-therapeutische Berufe im Universitätslehrgang Palliative Care

Im Oktober 2022 startet die multiprofessionelle Vertiefungsstufe (Level II) für medizinisch-therapeutische Berufe im Rahmen des Universitätslehrgangs Palliative Care.

Die Ergotherapeutin Brigitte Loder-Fink (BLF) und der Physiotherapeut Rainer Simader (RS) sind das Team, das die Teilnehmer*innen (beg)leiten wird. Zum Gespräch bat Anna Pissarek (AP), Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit im Dachverband Hospiz Österreich.

Frau Loder-Fink, warum spielt Palliative Care für Sie eine so wichtige Rolle?

Ursprünglich begann ich eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Während der notwendigen Praktika im stationären Pflegebereich erlebte ich, wie wichtig eine wertschätzende Begleitung von Patienten und Patientinnen am Lebensende ist und wie wenig Zeit das Pflegepersonal dafür hat. In dieser Zeit setzte ich mich zum ersten Mal mit Hospiz und Palliative Care auseinander und kam zum Schluss, dass großer Handlungsbedarf bestand. Somit war mein Interesse geweckt. Als Ergotherapeutin durfte ich 2009 im Rahmen des Projektes Hospizkultur und Palliative Care in Alten- und Pflegeheimen (HPCPH) eine Fortbildung machen und merkte die Notwendigkeit einer interdisziplinären Palliativ- und Hospizbegleitung. Außerdem wurde mir bewusst, wie wenig die einzelnen Berufsgruppen über die Möglichkeiten anderer Gesundheitsprofessionen in diesem Bereich wissen. Dem Mehrwert eines multiprofessionellen Teams wurde zu dieser Zeit noch zu wenig Anerkennung und Beachtung geschenkt. Im Anschluss an die Fortbildung unterstützte ich die Konzeption und Umsetzung einer guten Hospizkultur und Palliativbetreuung in meiner damaligen Arbeitsstelle. Interdisziplinarität, Qualität und Würde waren Schlüsselwerte. Seither ist es mir ein großes Anliegen, die Notwendigkeit und die Bereicherung einer interdisziplinären Zusammenarbeit in der Betreuung betroffener Personen und ihrer Angehörigen nicht nur in der eigenen Berufsgruppe, sondern auch in allen Gesundheitsberufen und in der Bevölkerung bekannter zu machen. 

Herr Simader, wie war Ihr Weg zur Palliative Care und warum wurde dieses Feld für Sie so wichtig?

Während meines Physiotherapiestudiums, das ich 1997 abschloss, war Hospiz- und Palliative Care kein Thema. Ich durfte direkt im Anschluss meinen Zivildienst in einem Alten- und Pflegeheim in Oberösterreich absolvieren. Damals gab es eine Verordnung, dass in jedem Heim mit einer gewissen Bettenanzahl ein Physiotherapeut sein muss und so wurde ich „ins kalte Wasser geworfen“. Ich erkannte bald, welch enormen Einfluss Aktivität oder „sich in einem gewissen Ausmaß selbst bewegen zu können“, also Selbstständigkeit und Selbstbefähigung auf die Lebensqualität von sehr alten und auch sterbenden Menschen hatte. Erst später in einer Fortbildung erfuhr ich, was Hospiz und Palliative Care ist und ich wusste intuitiv, dass das mein berufliches Thema wird. In einer späteren Rolle als Dozent für Physiotherapie erlebte ich auch sehr große Bedürfnisse und Ängste auf Seiten der Studierenden, die in ihren Praktika kontinuierlich mit dem Thema Lebensende konfrontiert und auch gefordert waren. Hieraus ergab der Auftrag die Themen Palliative Care und Physiotherapie auch formal einander anzunähern und es entstanden diverse Projekte, Curricula und Weiterbildungen. 

Herr Simader, Sie haben auch einige Zeit im bekannten St. Christophers Hospice in London gearbeitet. Wie war diese Erfahrung für Sie?

Es war eine sehr bleibende und motivierende Erfahrung. Für mich ist das St. Christophers Hospice sicherlich eine der patientenzentriertesten und „lebendigsten“ Eirichtungen, in der ich jemals gearbeitet habe, obwohl oder vielleicht gerade weil dort jährlich mehrere 1000 Menschen im Prozess des Sterbens begleitet werden. Es wird dort sehr genau hingesehen, was Lebensqualität am Lebensende ausmacht. Daher weiß man, dass für fast alle Menschen mit lebenszeitbegrenzenden Erkrankungen die bestmögliche Selbstständigkeit ein sehr wichtiges Ziel ist und dass die Angst vor der Abhängigkeit von anderen groß ist. Dieses Wissen führte dazu, dass Expert*innen für dieses selbstbestimmte Leben, also Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen und auch Diätolog*innen einen sehr wichtigen Stellenwert haben. Und so war ich begeistert, als ich dort ein Fitnessstudio für Patient*innen egal welcher Krankheitsstadien vorgefunden habe oder ich gemeinsam mit Ergotherapeut*innen und Diätolog*innen zum Beispiel Atemnot- und Fatigue-Gruppen für Patient*innen und deren Angehörige leiten konnte.

Frau Loder-Fink, Sie arbeiten heute als Dozentin für Ergotherapie und als freiberufliche Ergotherapeutin. Welche beruflichen Stationen haben Sie geprägt?

Ich arbeitete in der stationären geriatrischen Langzeitpflege. Ich liebe die Arbeit mit Menschen. Mir ist es ein Anliegen, dass betroffene Menschen trotz der Umstände so etwas wie Alltag erleben dürfen und Alltagshandlungen vor dem Hintergrund einer begrenzten Lebenszeit ermöglicht werden. Von 2009-2011 absolvierte ich das berufsspezifische Masterstudium „Occupational Therapy" an der FH Campus Wien.  Meine persönlichen beruflichen Highlights waren sicher die erfolgreiche Durchführung von zwei Projekten mit Angehörigen von Heimbewohner*innen, welche mit dem Teleios für Innovation, Qualität und Nachhaltigkeit in der Altenpflege und dem KCI Austria Award ausgezeichnet wurden.

Frau Loder-Fink, wenn sie in einem kurzen Statement oder Zitat erklären würden, was für Sie ergotherapeutisches Handeln in der Palliative Care ausdrückt, was wäre das?

Hier kommt mir sofort Dame Cicely Saunders in den Sinn. Sie sagte einst: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ 

Und für Sie, Herr Simader? Gibt es etwas, wie Sie die Rolle der Physiotherapie und der weiteren medizinisch-therapeutischen Berufsgruppen zusammenfassen könnten?

Auch in meinen Gedanken taucht Cicely Saunders auf, wobei ich das gar nicht nur auf die medizinisch-therapeutischen Berufsgruppen begrenzen würde, sondern als generellen Auftrag aller in der Hospiz- und Palliativbetreuung Tätigen sehe. Ich gestehe, dass das folgende Zitat ganz gut in eine Stellenbeschreibung der MTD-Berufe passen würde: „Die Arbeit des professionellen Teams ist, dass wir alles tun, dem Patienten ‚Leben‘ zu ermöglichen, bevor er stirbt – unter Berücksichtigung seines maximalen Potentials, den Grenzen seiner körperlichen und psychischen Möglichkeiten und der Selbstkontrolle und Unabhängigkeit, wann immer auch möglich.“

Welchen Stellenwert sollen MTD Berufe in 10 Jahren in der Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen haben?
Brigitte Loder-Fink: Ich wünsche mir, dass in 10 Jahren die unterschiedlichen Blickwinkel und das Fachwissen der MTD-Berufe als  große Bereicherung in der Hospiz- und Palliativbetreuung wahrgenommen werden. Die MTD-Berufe sollen selbstverständlicher Teil des multiprofessionellen Teams im stationären und ambulanten Bereich der Palliative Care sein und anfallende Kosten dafür sollten problemlos von den Kassen übernommen werden. 
Rainer Simader: Das kann ich nur unterstreichen. Ich würde mir wünschen, dass die Hospiz- und Palliativversorgung ohne Ausnahme berücksichtigt, dass Aktivität, Selbstbefähigung und Partizipation den gleichen Stellenwert in der Begleitung von Menschen an deren Lebensende haben wie die Symptomkontrolle. Es soll eine Selbstverständlichkeit sein, dass MTD-Berufsgruppen integraler Bestandteil der multiprofessionellen Teams sind und schon frühzeitig in die Begleitung einbezogen werden

AP: Vielen Dank für das Gespräch!


Brigitte Loder-Fink ist seit 2014 Senior Lecturer/ Dozentin (FH) am Institut Ergotherapie an der FH JOANNEUM mit dem Schwerpunkt „Ergotherapeutisches Handeln im Fachbereich Geriatrie“. Neben der Lehre ist sie ich auch an der Umsetzung diverser Projekte mit den Themenschwerpunkten Healthy Aging, Demenzforschung, Kompensation altersbedingter Einschränkungen, Lebensqualität im Alter und Gesundheitsförderung beteiligt. Zudem ist sie auch freiberufliche Ergotherapeutin und Lehrgangsbegleiterin Vertiefungsstufe MTD des ULG Palliative Care.

Rainer Simader ist Physiotherapeut und war seit Anbeginn im Feld Palliative Care und Geriatrie tätig. Er gründete das fachliche Netzwerk Palliative Care bei PhysioAustria und gemeinsam mit Kolleg*innen auch die Task Force Physiotherapy der Europäischen Palliativgesellschaft (EAPC). Er ist Herausgeber des weltweit ersten Fachbuches zum Thema Rehabilitation am Lebensende. Heute leitet er im Dachverband Hospiz Österreich das Bildungswesen und ist im Leitungsteam des Universitätslehrgangs Palliative Care.